von Dr. Felix Mocker, Brinkmann & Partner (Erstveröffentlichung INDat Report 10_2023, Dezember 2023)
Etappen und Hürden des Sanierungs- und Insolvenzsteuerrechts
Im steten Wandel der Verzahnung auf der Spur
Es sind nunmehr circa elf Jahre vergangen, seit sich im Dezember 2012 auf Anregung des damaligen Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) die Kommission zur Harmonisierung des Insolvenz- und Steuerrechts unter ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Roman Seer in Berlin mit dem Ziel konstituierte, »das Verhältnis von Insolvenz- und Steuerrecht mit dem Fokus auf die aktuellen praxisrelevanten Steuerfragen aus dem Umsatz- und Ertragsteuerrecht [zu] untersuchen und, soweit möglich, Vorschläge zur Weiterentwicklung der Schnittstelle zwischen diesen beiden Rechtsgebieten [zu] machen.« Seit circa neun Jahren liegt der Abschlussbericht der Kommission vor. Dieses im Mittelwert zehnjährige Jubiläum bietet Anlass für eine Bestandsaufnahme über die seitherige Entwicklung ausgewählter praxisrelevanter Fragestellungen an der Schnittstelle zwischen Sanierungs- und Insolvenzrecht und Steuerrecht. Es zeigt sich, dass viele der damaligen Fragestellungen zwischenzeitlich durchaus im Sinne der Empfehlungen der Kommission gelöst wurden. Aber auch aktuell besteht Koordinierungsbedarf an der Schnittstelle zum Steuerrecht, wobei an die Seite des klassischen Insolvenzrechts spätestens seit Einführung des Restrukturierungsrahmens gem. StaRUG auch das Sanierungsrecht tritt. Auch aus diesem Grund begleitet z. B. der Hamburger Kreis für Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht e. V. seit seiner Gründung im Jahr 2016 als feste Institution die Verzahnung der vorgenannten Rechtsbereiche fortlaufend auf wissenschaftlicher Ebene.
I. Umsatzsteuer in der Insolvenz
- Doppelte Berichtigung der Umsatzsteuer – Endestation erreicht?
Die Arbeit der Kommission fiel in eine Zeit, in welcher der Bundesfinanzhof (BFH) die insolvenzrechtliche Welt mit seiner Rechtsprechung zur doppelten Berichtigung der Umsatzsteuer in der Insolvenz gerade auf den Kopf gestellt hatte. Zur Erinnerung: Zunächst entschied der Bundesfinanzhof im Januar 2009 in einem Fall der umsatzsteuerlichen Istbesteuerung, dass für die insolvenzrechtliche Einordnung der Umsatzsteuerforderung des Finanzamts gegenüber dem insolventen Leistenden als Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO oder als Insolvenzforderung nach § 38 InsO nicht der Zeitpunkt der Leistungserbringung, sondern der Zeitpunkt der Entgeltvereinnahmung – also der Zeitpunkt der Verwirklichung des materiell-rechtlichen Besteuerungstatbestands – maßgeblich sein soll. Kaum zwei Jahre später, im Dezember 2010, entschied der BFH sodann in einem Fall der Sollbesteuerung zum Umsatzsteueranspruch des Finanzamts gegenüber dem insolventen Leistenden. Im Fall hatte der Insolvenzschuldner eine Leistung vor Insolvenzeröffnung erbracht, aber erst der Insolvenzverwalter vereinnahmte nach Insolvenzeröffnung das Entgelt hierfür. Während der Umsatzsteueranspruch des Finanzamts, so der BFH, im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung erstmals gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit zu berichtigen sei, habe im Zeitpunkt der Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter eine erneute Berichtigung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG stattzufinden. Dieser zweite Berichtigungsanspruch des Finanzamts sei nunmehr aber als Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO einzuordnen.
Kurz darauf führte der Gesetzgeber über das Haushaltsbegleitgesetz 2011 mit Wirkung zum 01.01.2011 zudem § 55 Abs. 4 InsO ein. Durch diese Norm sollte (ebenfalls) sichergestellt werden, dass Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die während des Insolvenzeröffnungsverfahrens begründet werden, als Masseverbindlichkeiten einzuordnen sind. § 55 Abs. 4 InsO wurde als neues »Fiskusvorrecht« scharf kritisiert.
Aus dem Nebeneinander der neuen BFH-Rechtsprechung und § 55 Abs. 4 InsO sowie im Zusammenhang mit den bestehenden Umsatzsteuer- und Insolvenzrechtsnormen ergaben sich zahlreiche grundlegende und Detailfragen. Korrespondierend zum damaligen Meinungsbild in Wissenschaft und Praxis bildete sich auch in der Kommission kein eindeutiges Petitum heraus. Die Kommission empfahl daher lediglich, zumindest die BFH-Rechtsprechung zur doppelten Berichtigung mit den Vorschriften des § 55 Abs. 2 und 4 InsO abzustimmen, und legte dem Gesetzgeber nahe, eine normbasierte Verzahnung von Insolvenz- und Umsatzsteuerrecht herbeizuführen, der eine gemeinsame Werteentscheidung in Ansehung der Interessenlagen und Auswirkungen auf das Umsatzsteuer- und Masseaufkommen zugrunde liegt. (…)
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