Wie die Geschäftsleitung den Konflikt zwischen Gesellschafter- und Gläubigerinteresse meistert.

Text: Dr. Jan Markus Plathner und Maximilian Bei der Kellen (Erstveröffentlichung Deutscher Anwaltspiegel, Ausgabe 12, 08. Juni 2022)

Die Geschäftsleitung hat gemäß § 1 Abs. 1 StaRUG fortlaufend über Entwicklungen zu wachen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden können (Pflicht zur Krisenfrüherkennung). Erkennt die Geschäftsleitung solche Entwicklungen, hat sie geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen (Pflicht zum Krisenmanagement).

Die im Interesse der Gläubiger geschaffene Pflicht zur Krisenfrüherkennung steht im Konflikt mit dem Gesellschafterinteresse. Zum Zeitpunkt einer Strategiekrise oder Absatzkrise, in der noch Erträge erwirtschaftet werden, sind wenige Gesellschafter gewillt, in eine Restrukturierung zu investieren, während am Horizont der Verlust der Eigentümerstellung droht.

Pflicht zur Krisenfrüherkennung

Jedes Unternehmen hat über ein geeignetes Krisenfrüherkennungssystem zu verfügen. Die Ausgestaltung des Frühwarnsystems liegt im Ermessensspielraum der Geschäftsleitung und richtet sich wesentlich nach dem Geschäftsfeld, der Unternehmensgröße sowie der Unternehmensorganisation.

Die Liquiditätsplanung als Mindeststandard der Krisenfrüherkennung

Grundsätzlich hat jedes Unternehmen zu jedem Zeitpunkt über eine Liquiditätsplanung und im Mittelstand über eine umfassende Finanzplanung zu verfügen. Mit Eintritt der Ergebniskrise ist eine wasserdichte Liquiditätsplanung unerlässlich zur Krisenbewältigung und der Vermeidung einer Insolvenzverschleppung. Das Hinzuziehen eines spezialisierten und anerkannten Beraters kann helfen, Vertrauensverluste bei Gläubigern und Haftungsrisiken der Geschäftsleitung zu minimieren.

Die Liquiditätsplanung sollte mindestens zwei Geschäftsjahre umfassen und mit verschiedenen Planungsszenarien erarbeitet sein. Besonders in volatilen Branchen sind Szenarienplanungen mit Best und Worst Case sowie weiteren Szenarien (Disruption-Case) wichtig, um bei einer veränderten Marktlage handlungsfähig zu bleiben. Eine gute Liquiditätsplanung enthält eine Kommentierung der Prämissen und die Auswertung der Abweichungen von Plan- und Ist-Zahlen für die Vergangenheit. Nicht zuletzt müssen in der Liquiditätsplanung regulatorische Anforderungen und Umweltfaktoren (ESG) berücksichtigt werden.

Ausgestaltung des umfassenden Krisenfrühwarnsystems mittels KPIs

Entsprechend der Stadien einer Unternehmenskrise, lassen sich verschiedene spezifische Indikatoren für eine Krise definieren, die in ein umfassendes Frühwarnsystem integriert werden. Eine Krisenfrüherkennung für eine Strategiekrise kann bei einer regelmäßigen Marktanalyse, beispielsweise in Form der SWOT-Analyse sowie der Wettbewerbs- und Branchenstrukturanalyse, ansetzen. Der Blick ist auf alle Faktoren zu lenken: Wie wirken sich die Megatrends der 2020er Jahre auf das Geschäftsmodel aus, welche Innovationen bedrohen das Geschäftsmodell, wie entwickeln sich Mitbewerber? Ein besonderer Fokus sollte auf die Themen Governance sowie regulatorische Veränderungen gerade im Bereich Umwelt gerichtet werden.

Die Strategiekrise mündet in die Produkt- und Absatzkrise. Das Krisenfrühwarnsystem sollte für dieses Stadium je nach Einzelfall Key-Performance-Indicators (KPIs) laufend überwachen. KPIs müssen nicht perfekt, aber vergleichbar sein, damit die Ist-Zahlen mit den Planwerten abgeglichen werden können, um Veränderungen zu erkennen. Wesentliche harte KPIs können sein:

  • Lagerentwicklung und Umschlaghäufigkeit
  • AuftragslageProduktmängel/Ausschussquote
  • Auslastung von Maschinen und Personal
  • Umsatzentwicklung einschließlich Umsatz pro Quadratmeter und Umsatz pro Mitarbeiter
  • Fremdfinanzierungsgrad
  • Zahlungsverhalten der Kunden

Daneben sollten weiche KPIs fortlaufend ausgewertet werden:

  • Krankenstand/Fehlzeiten
  • Mitarbeiterfluktuation
  • Mitarbeiterbewertungen (beispielsweise auf Jobportalen wie KUNUNU oder durch interne Befragungen)
  • Kundenzufriedenheit
  • Innovationskraft (Verhältnis der Ideen aus dem Unternehmen zu tatsächlicher Umsetzung)
  • Pflicht zum Krisenmanagement

Den Erkenntnissen aus dem Frühwarnsystem müssen Handlungen folgen. Deswegen ist die Geschäftsleitung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verpflichtet, geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen.

Erarbeitung von Gegenmaßnahmen

Zunächst ist zu prüfen, ob Restrukturierungsoptionen mit Bordmitteln erarbeitet werden können oder externe Beratung zu Rate gezogen wird. Dies richtet sich besonders nach dem Krisenstadium und der Krisenursache.

Spätestens im Stadium der Ertrags- und Liquiditätskrise empfiehlt sich die Beauftragung externer Beratung vor dem Hintergrund steigender Haftungsrisiken. Berater können zur Erarbeitung von Gegenmaßnahmen die Zügel anziehen, im Liquiditätsmanagement unterstützen und die Umsetzung von Maßnahmen sicherstellen. Nicht zuletzt kann ein Berater die Rolle des (Sanierungs-)Moderators übernehmen. Bei ihm laufen die Interessen und Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder zusammen. Hierdurch kann neues Vertrauen in den Restrukturierungsprozess gewonnen werden.

Umsetzung von Gegenmaßnahmen mit externer Unterstützung

Die Umsetzung eines Konzepts ist eine Sollbruchstelle einer Sanierung, wenn Planung und Umsetzung nicht Hand in Hand gehen. Die Umsetzung des Restrukturierungskonzepts bedarf eines Projektteams. Empfehlenswert kann es sein, einen Chief Restructuring Officer (CRO) zu bestellen. Das Ziel muss es sein, nachvollziehbare Handlungen zu ergreifen und diese zu dokumentieren, um die Umsetzung vorantreiben zu können. Ein zuverlässiges, professionelles und transparentes Reporting ist unerlässlich für die weitere Begleitung der Restrukturierung durch die Gesellschafter und die externen Finanzierer.

Keine vorinsolvenzliche Sanierung ohne die Gesellschafter

In der Liquiditätskrise kann die Sanierung mittels des neu geschaffenen Restrukturierungsrahmens oder in einem Schutzschirm-, Eigenverwaltungs- oder Insolvenzverfahren umgesetzt werden. An diesem Punkt spitzt sich der Konflikt zwischen der Wahrung der Gläubiger- und Gesellschafterinteressen zu. Die Einleitung eines Eigenverwaltungs- oder Restrukturierungsverfahrens bei drohender Zahlungsunfähigkeit erfordert die Zustimmung der Gesellschafter.

Die Verweigerung einer rechtzeitigen Sanierung durch die Gesellschafter stellt die Geschäftsführung vor ein Dilemma: Entweder wird möglicherweise die Pflicht zum Krisenmanagement im Gläubigerinteresse verletzt, oder es droht die Haftung wegen einer ohne die Zustimmung der Gesellschafter eingeleiteten Sanierung sowie die Abberufung als Geschäftsführer. Die Auflösung des Konflikts bedarf einer professionellen Kommunikation. Die Chancen der Restrukturierung, damit verbundene Kosten und eventuell erforderliche Beiträge müssen transparent und kompetent gegenüber den Gesellschaftern und wesentlichen Gläubigern aufgezeigt werden, damit eine Zustimmung der Gesellschafter erzielt werden kann.

Fazit

Die gestiegenen Anforderungen an die Geschäftsleitung fallen in die Zeit einer für unser Wirtschaftssystem bisher einmaligen Pandemie, eines Kriegs in Europa, enormer Preissteigerungen sowie disruptiv wirkender Megatrends. Die Krisenfrüherkennungspflicht ist umzusetzen, während Geschäftsleiter in Krisenunternehmen einem enormen Handlungs- und Haftungsdruck ausgesetzt sind.

Im ersten Schritt hat jeder Geschäftsführer zu prüfen, ob ausreichende Mechanismen zur Krisenfrüherkennung bestehen, und diese in ein System zu übertragen und erforderlichenfalls zu erweitern. Je größer und komplexer das Unternehmen ist, desto kritischer ist das Krisenfrühwarnsystem auf seine Wirksamkeit hin zu prüfen.

Vollständiger Artikel als pdf oder im Online Magazin Deutscher Anwaltspiegel.